Kommentar | Barbara Bauer

Existentielle Zwiesprache

Unsere Zeit ist eine Zeit der Reizüberflutung. Dies insbesondere auch im visuellen Bereich. Eine ungeheure Bilderflut bemüht sich um unsere Aufmerksamkeit. Blitzartig wollen sich Botschaften einprägen, bevor wir uns dagegen wehren können, lassen uns keine Wahl.

Mae’s Bilder sind ganz anderer Natur. Es sind keine „Blitzbilder“, weder im visuellen noch zeitlichen Sinn. Ihre Botschaften offenbaren sich nur dem verweilenden Menschen. Demjenigen, der nicht nach vordergründiger Deutung sucht, sondern sich selber vom Bild finden lässt. Sich einlässt auf die Suche nach Resonanz mit dem Eigenen, welche erst Bedeutung schafft.

Mae’s Bilder haben sehr lange Entstehungsphasen. Mittels einer Mischtechnik aus Acryl und Oelpastell, oft auf einem Untergrund aus Collagen-Teilen und fertiggestellt mit Bleistift arbeitet sie manchmal über Jahre wieder am einzelnen Werk. Aeusserlich wie innerlich zieht sie sich während dieses Prozesses zurück in die Stille des Ateliers. In diesem bewusst gewählten Raum der Abgeschiedenheit, vergleichbar einer Klosterzelle, entsteht, was man „Seelenbilder“ nennen kann. Mae versteht sich in diesem Prozess nicht als „Künstlerin“, sondern als „Schaffende“, „Arbeitende“. Malen und Zeichnen sind ihr Lebensnotwendigkeit, existentielle Zwiesprache seit ihrer Kindheit.

Eng verbunden mit der Natur wählt Mae das Pflanzliche, Vegetative als Metapher für Entstehen und Vergehen. Als Metapher auch für jene Unschuld, welche dem Menschen, dieser fraglichen „Krönung der Schöpfung“, durch seinen Missbrauch der Natur schon lange abhanden gekommen ist. Die Schönheit der Schöpfung wird offenkundig in sichtbar festgehaltenen Zuständen aus Lebenszyklen, welche gleichzeitig auf ein unsichtbares Leben danach weisen. Und dieses Geahnte, ebenso wie das Sichtbare sind Aufruf zu Ehrfurcht und Verantwortlichkeit. In eigenwilliger Darstellung geben aufgelöste bis abstrakte Formen einerseits Anstoss, Natur neu betrachten zu lernen. Andererseits entsprechen sie Mae’s Ueberzeugung, dass eine „naturgetreue Kopie“ dem Wesentlichen nicht gerecht werden kann. Und immer ist es Natur in Bewegung. Erinnert dabei oft an Textiles, Faltenwürfe in Stoff und Gestein.

Private Umstände zwangen Mae in den letzten fünfzehn Jahren zum Rückzug aus der Öffentlichkeit. Unter der ihr auferlegten Enge entwickelte sich ihr malerischer Ausdruck zu ungekannter Intensität. Das künstlerische Schaffen ermöglichte ihr ein Überleben. War Mae’s Malerei nach ersten Anfängen mit Zeichnen in Schwarz-Weiss geprägt von zurückhaltender Farbgebung, sind nun Hell-Dunkel-Kontraste vorherrschend sowie die Verwendung von intensiven Rottönen. Dunkelheit nicht als Bedrohung, sondern als Ort des Aufgehobenseins, als Ort der Herkunft und des Ziels. Und daneben immer auch Lichtes. Gleichzeitig im Schwarz-Weiss eine Reduktion auf das Wesentliche, die Essenz. Formale Reduktion auf Etwas, das man „Urlandschaften“ nennen könnte: Orte, die lange vor unserer Existenz bestanden und diese überdauern werden. Geprägt sind von Kräften, welche die unseren bei Weitem übersteigen. Und dann dieses Rot: irritierend, faszinierend. Feuer und Blut, Leiden und Leidenschaft, Leben und Tod. Urgewaltiges. Bilder, die beim Betrachten den magischen Moment ermöglichen: erkennen und erkannt werden.

Barbara Bauer, Februar 2011

Barbara Bauer, nach der Matura Ausbildung zur Krankenschwester. Anschliessend Medizinstudium in Bern und Weiterbildung zur Fachärztin in Psychiatrie und Psychotherapie. Besonderes Interesse für psychotherapeutisch begleitetes Steinbildhauen, Traumatherapie und imaginative Methoden in der Psychotherapie. Eigene Praxis in Bern